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Um mein Visum für weitere 90 Tage zu verlängern musste ich neu einreisen. Diesmal wurde es ein Tagesausflug, den ich gemeinsam mit meiner französischen Mitbewohnerin Morgan unternahm. In der Früh mit der Fähre nach Colonia (Uruguay) und am Abend zurück. Eine entzückende Stadt im Kolonialstiel, wie dieses Foto zeigt.
Mit dem 31. Juli ist die Hälfte meiner Dienstzeit als Auslandsdiener um. Bis 31. Jänner bleiben mir noch sechs weitere Monate. Diese Halbzeit möchte ich nützen, um festzustellen, wo Argentinien von Österreich und wo Österreich von Argentinien lernen kann. Allerdings nicht in einem abstrakt-philosophischen Sinne, sondern bezüglich der kleinen praktischen Dinge des Alltags.
Colonia ist eine Touristendestination und dementsprechend halsabschneiderisch. Da Foto zeigt wie großzügig die Nachspeise im Menü war. Das Preis-Leistungsverhältnis war so schlecht, dass ich sogar den im Menü inkludierten Café in Anspruch nahm, obwohl ich keinen trinke. Das hat sich mit meiner Reise nach Uruguay jetzt geändert.
Praktische Dinge aus Österreich, die in Argentinien fehlen
Heizungen: Ja, es ist ein halbes Jahr Sommer. Ja, im Winter scheint fast jeden Tag die Sonne. Trotzdem kann es hier kalt werden, so wie dieser Tage -1 Grad. Mit 70 Prozent Luftfeuchtigkeit und Wind wird das ganze ungemütlicher als -10 Grad in Wien. Sprich: Heizungen wären durchaus angebracht. Der putzige Elektroheizstrahler in meinem Zimmer schafft es nur bis ca. 5 Grad Außentemperatur eine angenehme Raumtemperatur zu Stande zu bringen. Überdies ist Argentinien ist einfach nicht isoliert. Offene Gasöfen (Zentralheizungen kennt man nur aus dem Fernsehen) blasen die Hälfte ihrer Wärme gleich direkt durch die 1-cm Fenster und Türspalten. In Privathäusern ebenso wie in Tangobars. Für europäische Energieeffizienz-Umweltschutz-Leute ein absoluter Schock. Wieso die Leute im Theater, in Tangobars, in kleinen Supermärkten (die dort arbeitenden sind in Winterjacken eingehüllt), in manchen Restaurants oder im Autobus frieren müssen ist mir ein Rätsel. Das hat glaube ich nicht nur ökonomische, sondern auch kulturelle Gründe. Man empfindet sich einfach als subtropisch und basta. Winter hin oder her. Liebe Argentinier/innen! Ich versichere euch, mit Heizung ist das Leben viel komfortabler!
Schutz vor Zugluft: Wieso ich das Kälteempfinden für eine kulturelle Frage halte, sollen folgende Beispiele belegen: Ausnahmslos alle Taxler haben selbst bei 0 bis 5 Grad Außentemperatur das Fenster offen und sitzen in der Jacke im Taxi. Kürzlich habe ich einen Taxler in einer kalten Nacht freundlich darauf hingewiesen, zumindest zwei der drei ganz offenen Fenster zu schließen. Supermärkte und Cafés haben auch bei unter 10 Grad einfach die Eingangstür permanent offen. Im Sommer bläst in jedem Überlandbus, Kino oder Restaurant die eiskalte Zugluft einer Klimaanlage und kühlt alles auf 15 Grad ab. Ich glaube fast, die Klimaanlagen haben das Temperaturempfinden so reduziert, dass die Menschen im Winter auch ihre kalte Zugluft brauchen. Dass ich in Buenos Aires in Winter und Sommer mehr frieren muss als in Wien ist doch erstaunlich
Damit ist mein mit Abstand wichtigstes Anliegen beschrieben. Alles andere ist gegen das Kälteproblem eine Kleinigkeiten.
Morgan, die übrigens aus Le Havre (Normandie) kommt, hier als Hexe die gerade ihr Knusperhäuschen verlässt.
WC: Es ist sehr angenehm, wenn man WC’s (und Badezimmer) zusperren kann. Vor allem wenn es sich um öffentliche Toiletten handelt. Das klopfen, fragen und antworten stört irgendwie die für das WC-Geschäft nötige Ruhe.
Kleingeld: Der Tipp für alle Geschäftstreibenden (v.a. Kleinhandel, Taxis etc.): Kleingeld und Wechselgeld sind unfassbar praktisch, weil sie die Transaktionen erleichtern. Damit wird nicht jeder Einkauf zu einer aufwendigen Komplikation bei der Waren zurückgegeben oder dazu genommen werden müssen, um – falls überhaupt – auf eine Summer zu kommen die der Einkäufer Cash hat.
Bettüberzüge: Ein richtiger Überzug der die ganze Decke einhüllte, ist wesentlich angenehmer als ein weiteres Leintuch, das ohnehin verrutscht und wo man erst täglich die Tuchend anschwitzt.
Fußgängerrechte: Klare Regeln sind gut. In Argentinien ist de facto klar, dass Fahrzeuge am Zebrastreifen immer Vorrang gegenüber zu Fuß gehenden haben. Das Gegenteil wäre aus zwei Gründen wünschenswert: Es würde das Leben der Fußgänger/innen erleichtern und sicherer machen.
Morgan und das Meer (eignetlich der Rio de la Plata). Ein Vorlage für William Turner.
Praktische Dinge aus Argentinien, die in Österreich fehlen
Flexible Tanzkurse: Wieso muss ein Tanzkurs etc. immer im Vorhinein bezahlt werden, unabhängig davon, wie oft man eigentlich Zeit hat. In Argentinien zahlt man wenn man da war und fertig. Hat man einmal Dienstag keine Zeit, dann schaut man halt am Mittwoch in einem anderen Kurs vorbei. Es gibt auch keine lästigen Blöcke von 10 Einheiten, die man absolviert. Man kommt so lange und so oft man will. Zwei Wochen oder zwei Jahre. Selber Ort, selbe Uhrzeit.
Kleine Einheiten: Wieso muss man in Österreich immer gleich ganze Packungen von Medikamenten kaufen? Die Hälfte schmeißt man ohnehin weg. Das ist zwar lukrativ für die Pharmaindustire, aber teuer für die Kund/innen. In Argentinien werden die Schachtel geöffnet und man kauft so viel wie man braucht. Auch Zigaretten kann man einzeln kaufen, wenn man möchte.
Ramschläden: Egal was man braucht, in den Ramschläden von Buenos Aires bekommt man es. Mitten in der Stadt kann man alles kaufen, wofür man in Österreich verschiedene Geschäfte – oder sogar Ungetüme wie Baumärkte abklappern muss. In jenen Wiener Gegenden, wo der Anteil an migrantischer Bevölkerung entsprechend hoch ist, übernehmen deren Mischmasch-Läden erfreulicherweise diese Funktion. Mehr Ramschläden wären auch in Wien super.
Feuerzeuge bei Kiosk: Hat man Lust auf eine Zigarette aber kein Feuer, gibt es eine äußerst praktische Einrichtungen. Sämtliche Kioske haben ein „Feuerzeug an der Schnur“. Man braucht gar nicht fragen sondern geht zum Kiosk, zündet sich seine Zigarette an und fertig.
Liter-Bierflasche: Wenn man seine individuelle 0,5er-Bierflasche gewohnt ist, mag man Anfangs etwas verschreckt ob der kollektivistischen 1-Liter Bierflaschen sein. Vor allem der Umstand, dass man aus einem Glas trinkt, irritiert. Es stellt sich allerdings heraus, dass diese großen Bierflaschen drei gewaltige Vorteile haben: Erstens wird das Biertrinken dadurch irgendwie geselliger, weil man das Bier eben wie eine Falsche Wein gemeinsam teilt. Zweitens weiß man nie, wie viele Bier man schon getrunken hat und braucht kein schlechtes Gewissen haben. Drittens schmeckt das Bier nie abgestanden und wird nicht warm, weil eine Gruppe die Flasche rasch leert und danach die nächste aus dem Eiskasten fischt.
Umbaudiscos: Restaurants die sich im Laufe der Nacht Stück für Stück in eine Disco verwandeln, sind praktisch und angenehm. Man isst zuerst in aller Ruhe, irgendwann wird die Musik lauter und erste Tische verschwinden, so dass die Atmosphäre einer Bar entsteht. Wenn sich dann ab 1:30 kaum noch Leute an den Tischen halten, verschwindet der Rest und aus dem Raum wird ein großer Tanzschuppen. Alles verläuft fließend, wie bei einer Privatparty die vielleicht auch etwas gediegen mit Essen beginnt und später rockiger wird.
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