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Obwohl mein Spanisch nur minimale Fortschritte macht, bekomm ich langsam einen Überblick über die wichtigsten Redewendungen. Vieles von dem was ich anführe ist aber nur typisch für den Lunfardo (Umgangssprache) der Portenos (Bewohner/innen von BsAs). Im spanischsprachigen Ausland wird Argentinisch meist mit dem Dialekt der Portenos gleichgesetzt.
Floskeln
Floskeln sind in Argentinien von ungeheurer Wichtigkeit. Sie sind schon deshalb völlig überflüssig, weil man ohnedies leicht ins Gespräch kommt und minutenlange Monologe von Gesprächspartner/innen, Fernsehmoderator/innen oder Politiker/innen hier selbstverständlich akzeptiert sind. Trotzdem existieren sie und treiben immer recht seltsame Blüten.
„Qué tal“
„Qué tal“ bedeutet „Wie geht’s“ und wird regelmäßig einfach zur Begrüßung eingesetzt. Dabei ist es fast so häufig wie „hola“. Beliebt ist die Kombination: „hola, que tal?“. Vor allem wenn man die Personen nicht kennt (Supermarktkassier/in etc.), wäre es völlig verfehlt hierauf zu antworten. Es ist in diesem Kontext nicht mehr als ein „Guten Tag.“ Absolute Äquivalente sind „Como te va“, Como estás?“, „Como andas?“
„Wie geht’s“ ist aber auch die am häufigsten gestellte Frage für einen Gesprächseinstieg. Obwohl die Tonlage immer in frappierender Weise Interesse vortäuscht, es ist eine absolut leere Floskel. Standardantworten sind: Bien (gut); Bien y vos? (gut und dir?); y vos? (und dir?). Darauf antwortet man wiederum nur noch mit Bien. Ein in jeder Hinsicht sinnentleertes Ritual.
A: Qué tal?
B: Bien, y vos?
A : Bien
Die Argentinier/innen haben Wege gefunden diesen Dialog zu verkürzen und noch skurriler zu machen. A fragt gleich nur „Bien?“, der Rest des Dialoges bleibt gleich. In meiner Arbeit wo sich jeden Tag in der Früh 30 Leute mit diesen Floskeln begrüßen, ist das durchaus effizient. Kürzlich hat ein Argentinier ein Gespräch überhaupt gleich mit den Worten „y vos?“, (und du?) begonnen. Das fand ich besonders originell.
Würde man die Frage ernsthaft beantworten, die Irritation wäre groß. Mein Zivildienstkollege Paul hat sich eine zeitlang als Kommunikationsanarchist geübt und immer mit „muy mal“ (sehr schlecht) geantwortet. Dies führte zu peinlicher Verlegenheit, weil ein eventuelles Nachfragen in der Erstfrage ja gar nicht vorgesehen war. Daher ist es gut einfach nur „bien“ zu sagen. Meine Strategie ist gar nicht zu antworten und die Frage in ihrer ganzen Unnützlichkeit in der Leere der Folgesekunden absaufen zu lassen. Tatsächlich habe ich „qué tal“ fast noch nie beantwortet und in sechs Monaten noch nie ohne klaren Kontext (Krankheit etc.) gestellt. Man kann hier trotzdem überleben.
„Hace tiempo“
Hat man sich ein paar Wochen nicht gesehen, muss man mit erstaunter Miene betonen, wie lange das schon her ist. Daher sagt man unmittelbar nach der Begrüßung oder gleich statt der Begrüßung: „Hace tiempo“, oder „que tiempo“. Beides heißt sinngemäß: Es ist lange her.
Anrede, Spitznamen
„Ruso“
In Argentinien sind die Höflichkeitsgrenzen sehr viel flexibler. Es ist durchaus nicht beleidigend, eine Person gemäß äußerer Merkmale anzusprechen. Besonders hellhäutige Menschen, speziell aus dem Ausland, werden dann als „Ruso“ (Russe) bezeichnet und so direkt angesprochen. Dünklere Typen als „Moreno“ (Dunkler).
Dieser Fußballspieler ist ein echter Russe. Es genügt aber nur halb so blass zu sein wie er, um schon als „Ruso“ bezeichnet zu werden.
„Christina und Nestor“
Alle in Argentinien haben alle einen oder mehrere Spitznamen. Jemanden beim vollen Vornamen anzusprechen wirkt beinahe autoritär, als wäre man ein Elternteil. Die Spitznamen sind oft gar nur einsilbig und selten von sehr schönem Klang. Beispiele sind „Pin“, „Gi“ oder „Fer“. Viele Politiker/innen werden, auch in den Medien, mit den Vornamen bezeichnet. Dies war schon bei Evita der Fall, es gilt aber auch für Nestor (Kirchner) oder Christina (Kirchner). Die Schlagzeile lautet dann: „Cristina bei Obama“. Ex-Präsident Menem wurde wegen der syrischen Herkunft seiner Familie als „turco“ bezeichnet.
Ollas Wearnerisch?
Nach einem halben Jahr in Buenos Aires komme ich immer mehr zu der Überzeugung, dass das Wienerische über Schleichwege Eingang in die hiesige Umgangssprache gefunden hat. Einige verblüffende Beispiele:
„Gordo“ („Blaader“)
Unter nicht formalem Bedingungen und wenn ein Grundvertrauen herrscht, wenn Alkohol im Spiel ist oder wenn man jemanden beleidigen will. Das sind Bedingungen unter denen man in Wien eine korpulente Person als „Blaader“ bezeichnen kann. Wie bereits erwähnt, kann man in Argentinien Leute durchaus gemäß ihrer Körpermerkmale ansprechen. Zu dickeren Menschen sagt man wirklich einfach „Gordo“, oder im Falle einer Frau „Gorda“.
Dicke Menschen darf man als „Dicker“ anreden. So etwa die Kinder in meinem Straßenkinderheim gegenüber den etwas korpulenteren Köchinnen.
„Flaco“ („Dirrer“, Havara)
Das Gegenteil von „Gordo“ ist „Flaco“. Es bedeutet der Dünne, oder auf Wienerisch der „Dirre.“ Es ist nicht nur üblich Leute mit Flaco/a anzusprechen, der Ausdruck wurde sogar im Sprachgebraucht umfunktioniert um ganz allgemein von „Typ“ zu sprechen. Im Sinne von „Havara“. Zum Beispiel:
Este Flaco no tiene nigún idea: Der Havara hat keine Ahnung
„Que sé yo“: („Wos was i?“)
Bedeutet wortwörtlich „Was weiß ich“ und wird ununterbrochen verwendet. Es ist zweifellos der Zwilling des Wienerischen „Wos was i?“
„Mira vos“ („Do schau her“)
Wortwörtlich übersetzt „Schau an dich“ ist offenbar das wienerische „Schau (dich) an“, bzw. gleichbedeutend mit „Do schau her“. „Mira vos“ ist absolut typisch für den Slang der Portenos und wird äußerst häufig verwendet. Es hat sich zu meinem Lieblingsausdruck gemausert, den ich genussvoll bei jeder sich bietenden Gelegenheit mehr oder weniger elegant einflechte.
„Ché!“ („Heast“)
Ein absoluter argentinischer Klassiker ist der Ausdruck „Ché“, der nichts anderes bedeutet als „He!“. Die Verwendung in Argentinien entspricht 1:1 dem wienerischen „Heast“, das von „Hörst“ kommt. Zum Beispiel:
Ché, pasa me leche: Heast, gib mir die Milch
Ché, voy al cine, venis? Heast, I geh ins Kino, gehst mit?
Ché, sos loco vos? Heast, bist narrisch?
Der junge argentinische Arzt Ernesto Guevara verwendete den Ausdruck so regelmäßig, dass seine lateinamerikanischen Revolutionskollegen ihm irgendwann diesen Ruf zur Ergatterung von Aufmerksamkeit als Spitznamen verpassten. Ché Guevara, die Popikone der Revolution, wäre – hätte er seine Revolution im Wiener Stadtdschungel durchgeführt – schlicht und ergreifend der Heast. Ernesto „Heast“ Guevara.“
„Der Kapitalismus integriert alle, denn er hat ein großes Herz“ (Funny van Dannen). Selbst für die Revolution findet sich eine Marktnische, Ché Guevara kann man schon lange konsumieren. Revolutionäre Accessoires sind ein richtiger Industriesektor. Mit „Heast“ wäre das Geschäft wohl nur halb so lukrativ.
„es asi“! („so is“)
Bedeutet wortwörtlich: „ist so“, im wienerischen: „is so“, „so is“ oder „so ist des“. Es wird sehr gerne verwendet um den Wahrheitsgehalt der eigenen Erzählung aufzupeppen.
„Boludo“ („Deppata, Oida“)
Sehr gebräuchlich ist das Wort „Boludo“. Eigentlich ein Schimpfwort, das so viel bedeutet wie „Depperter“, oder auch „Oida“ (von Alter). Man kann aber jede Person, auch Fremde, mit Boludo ansprechen, ohne dass es eine Beleidigung ist. Als Adjektiv bedeutet boludo deppert, blöd. Es gibt Leute die keinen Satz ohne Boludo bilden können.
„dale“ (okay, oida)
Dale bedeutet prinzipiell okay, wird aber nicht so extrem häufig verwendet wie das Äquivalent „vale“ in Spanien. Dale bedeutet aber auch „oida“, allerdings nicht im klar auf eine Person bezogenen Sinn wie „Boludo“, sondern so wie z.b. im österreichischen „geh oida…“. Von den Kindern höre ich regelmäßig dale (die starke Betonung des A ist dabei etwas gejault bzw. geraunzt), z.B. „Dale, da me manteca!“ Das heißt so viel wie „Oida, gib mir Butter“.
Aus all dem ergeben sich natürlich wundervolle Kombinationen, die oft verblüffend an Wien erinnern:
Ché Boludo... Heast Deppata...
Ché Gordo… Heast Blaader…
Qué sé yo boludo: Wos was I Deppata
Boludo, es asi: So is des Deppata
Este Flaco es un Boludo: Der Havara is deppert
Dale, boludo…: Oida, Deppata…
Ob es im nicht-österreichischen Deutsch für all diese Ausdrücke so treffende Äquivalente gibt kann ich nicht beurteilen. Faktum ist, dass es richtigen Wiener/innen nicht so schwer fallen würde, in Bs.As. wesentliche Bausteine ihrer sehr charakteristischen Sprache beizubehalten.
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Hallo Nikolaus, lade dich ein meinen Blog zu besuchen, von dem man im übrigen sehr leicht auf deinen findet http://fampriv.wordpress.com
AntwortenLöschenMan kann immer etwas Nützliches lernen. Interessanter Bericht! Danke schön!
AntwortenLöschenIch muss so lachen! Bin beim Googlen zufällig auf deinen Blog gestoßen. Ich kommentiere selten etwas, aber was und wie du schreibst ist wunderschön. Gruß aus Hamburg!
AntwortenLöschenHans, 14.Jänner 2017
AntwortenLöschenbin ebenso begeistern von deinem Sprachwitz!