Donnerstag, 11. März 2010

Lärm im öffentlichen Raum

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Den heutigen BLOG untermale ich - abgesehen von diesem Bildchen - mit Fotos von meiner Abschlussreise durch Südamerika.

Nachtruhe, Lärmschutzwand, amtliche Grenzwerte für den maximalen Verkehrslärmpegel, akustisch abgedichtete Lokale am Gürtel, Lärmbelästigungszulage für Bedienstete der Heereszeuganstalt (?) Wien. In München wurde sogar das Mobiltelefonieren in öffentlichen Verkehrsmitteln verboten. In unseren Breiten wird das Thema Lärmbelästigung sehr ernst genommen. Dies gestaltet sich in Argentinien etwas anders. Als an Ruhe gewöhnter Mitteleuropäer muss man hier einiges ertragen. Allerdings kann man sich auch so manches leisten, das in Wien undenkbar wäre. Einige Beispiele, wie in Argentinien mit dem Thema Lärm umgegangen wird:

Eine Sanddüne in der Atacamawüste (Chile).

Fernsehen in Bars

In allen Bars und Kneipen, selbst in besseren Restaurants wird man von einer den ganzen Tag laufenden Fernsehkiste beschallt. Was man bei uns als Störung, Zumutung oder gar als barbarische Unkultiviertheit wahrnehmen würde, ist für Argentinier/innen nicht mehr als ein bisschen harmloser Hintergrundsound.

Öffentlicher Verkehr

In den gesteckt vollen Zügen und Bussen im gesamten Großraum Buenos Aires, ist es Gang und Gäbe, dass (vor allem Jugendliche – Gott bin ich alt) mittels Handy ihre Lieblingsmusik in voller Lautstärke abspielen. Meist handelt es sich dabei um Reggaeton, eine zweifelhafte Mischung aus Hip Hop, Latino und Technobeats. Besonders schön wird das Konzert, wenn mehrere dieser Süßen ihre Geräte gleichzeitig auf “Vol. max” stellen und vielleicht noch ein weiterer verhaltensorigineller Fahrgast seinen Klingelton wechseln möchte und zu diesem Behufe eine kleine öffentliche Hörprobe aller seiner 2000 Varianten zum Besten gibt.

Der 6000 Meter hohe Vulkan Licancabur in der Atacamawüste.

CAINA

Den durchschnittlichen Lärmpegel in meinem Straßenkinderheim (CAINA), können sich bestenfalls Pädagog/innen in Einrichtungen für verhaltensauffällige Kids vorstellen. Die Kinder waren aber gar nicht das Lauteste. Jeden Mittwochvormittag findet eine Filmvorführung mit Beamer statt. Während ich abwusch, wurden die Kinder mit tausenden Dezibel von den Maschinengewehren diverser US-Actionhelden beschallt. Dieser lächerliche Hintergrundlärm war jedoch harmlos, mir schauderte während des Spülens des 63. Bechers vielmehr vor dem, was danach kam. Zu Mittag gibt es ein Quiz, bei dem die Kinder während des Essens Fragen zum Film beantworten. Zu diesem Zwecke stiegen stets zwei Sozialarbeiter/innen auf einen Tisch und mir die Schweißperlen auf die Stirn. Die beiden Ankünder/innen versuchten sich nun Gehör zu verschaffen, was im Beisein von 50 Latino-Straßenkindern naturgemäß eine Herausforderung darstellte. Die mir an Körpergröße und Gewicht deutlich überlegene Sozialarbeiterin Guadalupe ließ ihrem Organ freien Lauf und während ich mir die Zeigefinger tief ins Innenohr stieß ertönte das, was im CAINA als “sirena” bekannt und berüchtigt ist. Dies war nur der Einstieg in eine ohrenbetäubende viertel Stunde, in der eine Art Dialog zwischen den durch den Raum brüllenden Sozialarbeiter/innen und den durch den Raum brüllenden Kindern stattfand. Unterbrochen nur durch tobenden Applaus (im schlimmsten Fall begleitet durch rhythmische Schläge von 100 Gabeln und Löffeln auf die Tische), wenn eine Gruppe eine Frage richtig beantwortete. Nach diesem Event gönnte ich mir immer im zweiten Stock eine Zigarillo, im Nähraum bei der Waschmaschine, wo die Kinder keinen Zutritt haben und die Näherin Nora leise Kirchenmusik aus dem Radio hörte.

Ein Loch in der Wüste. Vor dem Loch ein Gringo aus dem Bilderbuch

Verkehrslärm

Die letzten zwei Monate in Wien habe ich am Lerchenfeldergürtel gewohnt, mein Schlafzimmerfenster lugte direkt zu der mit ihren acht Spuren wohl größten innerstädtischen Straße Österreichs. Den Verkehrslärm habe ich allerdings nur als leises Rauschen im Hintergrund wahrgenommen. Schon mehrfach habe ich über die unfassbare Lautstärke geschrieben, die in Buenos Aires durch veraltete Motoren in Pkws, Stadtautobussen, und Lastwägen verursacht wird. Die Busse fahren übrigens die ganze Nacht und mangels Organisation oft 45 Minuten nicht, dafür dann drei Stück hintereinander. Der 32er, der seine Station direkt vor meinem Zimmerfenster hat, beschleunigt dann seinen Motor (gefühltes Baujahr 1928) um 4:00 Früh um aus der Station zu fahren. Wenn drei 32er gleichzeitig eintreffen, wäre man schon dazu geneigt mit einer Nacht in den Schützengräben von Verdun zu tauschen. Die Fenster bestehen selbstverständlich nur aus einer Scheibe und sind extrem schlecht abgedichtet, was das akustische Vergnügen erhöht. Besonders freundlich gesinnt ist man den an Lautstärke alles übertreffenden Mopedfahrern, die auch um Fünf in der Früh keine Skrupel haben zu zeigen, was ihr Gerät drauf hat. Mehrfach dachte ich da an den Kauf eines kleinen feinen Luftdruckgewehrs.... Wieso sich die Bewohner/innen von Buenos Aires diese Belästigung gefallen lassen, ist mir ein Rätsel. Ich brauchte Wochen, um mich beim Schlaf einigermaßen an den Lärm zu gewöhnen.

Der atemberaubende Colca Canyon in Arequipa Peru

Nochmals Colca Canyon

Kino im Bus

Es gibt kaum Züge in Argentinien, alle Überlandstrecken fährt man im Bus. Auf den langen Strecken wird man unterhalten und zwar mit hoch qualitativen Filmen. Laute und billige Actionstreifen aus den 80er-Jahren rangieren ganz oben auf der Liste. Natürlich gibt es keine Kopfhörer, das bedeutet alle haben das Vergnügen, den von den Busfahrern sorgfältig ausgewählten Filmen zu lauschen. Aber keine Sorge, Argentinier/innen sind Nachtmenschen. Nach dem Abendfilm, der um 22:00 mit dem Abendessen serviert wird, gibt es zum Glück noch einen Nachtfilm. Niemand wird der Zumutung preisgegeben, vor 2:00 einschlafen zu müssen. Papa und mein Brüderchen Wastl hatten besonderes Glück. Die Busfahrer wählten den stets dezenten und unscheinbaren Einschlaffilm Terminator 4 für die Abendvorführung. Aber noch besser war ihr Nachtangebot, das sie in unmittelbarem Anschluss spielten. Ob man es glaubt oder nicht: Terminator 4.

Die peruanische Seite des Titicacasee auf 3800 Meter

Discoterrasse

Die Terrasse auf dem Dach unseres Hauses befand sich in einem dicht besiedelten Gebiet, umringt von so manchem Hochhaus. Faktum ist, jeden Lärm den wir machten, wurde von mehreren hundert Nachbarn wahrgenommen. Als wir in meiner ersten Woche an einem Samstag bis 7:00 zu Rock, Techno-, Latino und Pop tanzten war ich noch erstaunt, dass niemand die Polizei rief. Als in den Foglemonaten zig musikunterstützte Grillabende, lautstarke politische Diskussionen, inbrünstige Theaterproben, dröhnende Tanzpartys, Gehversuche im Tangoschritt oder gewöhnliche Abendessen (in Argentinien nicht vor 23:00) an jedem beliebigen Wochentag auf unserer Terrasse stattfanden, wurde mir langsam klar: In Buenos Aires kann man in der Nacht so viel Lärm machen wie man will. Konsequenterweise haben wir uns auch nie aufgeregt, wenn die unter uns eingemietete Familie aus Peru alle paar Wochen im Rahmen eines Festes bis 6 Uhr Früh lautstarke Tanzmusik aus den Anden abspielte. Es gibt also auch ein paar Vorteile an der argentinischen Lärmkultur.

Der Marsch auf den 6075 Meter hohen Vulkan Chanchani (Arequipa, Peru) war dann etwas gar abenteuerlich. Das Grinsen auf dem Foto ist pure Schauspielerei.

1 Kommentar:

  1. wow! danke für die ausführliche information. ehrlich gesagt wusste ich gar nicht wie man in argentinien mit dem thema lärm umgeht.

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