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Um den wahren Stellenwert den Essen für mich hat möglichst lange hinter politischen, gesellschaftlichen oder kulturellen Pseudoanalysen zu verbergen, habe ich diesen Eintrag viele Monate aufgeschoben. Spätestens mit diesem Text wird aber klar, dass ich den Sozialismus im Zweifelsfall für ein saftiges Steak verkaufen würde. Vielleicht hat der österreichische Ökonom Joseph Alois Schumpeter deshalb von „Beefsteak-Sozialismus“ gesprochen.
Joseph Alois Schumpeter war kein Mann von Bescheidenheit. Er wollte „der größte Liebhaber Wiens, der beste Reiter in Europa und der bedeutendste Ökonom der Welt“ werden. Als Beefsteaksozialisten bezeichnete er Leute, die im Sozialismus ausschließlich die Ausweitung der jährlichen Kaufkraft der Arbeiter/innen sahen.
Wenn wir schon beim Thema Beef sind, möchte ich den unglaublichen Rindfleischverzehr der Argentinier/innen einmal kurz historisch erläutern. Der Grund dafür ist nämlich, dass europäischen Konquistadoren im 16. Jh. Rinder ausgesetzt haben, bevor sie von den Indianer/innen besiegt und verjagt wurden. Als man die Ureinwohner/innen 40 Jahre später unterwarf, fand man ein Riesenland mit einer gewaltigen Anzahl an Rindern vor, die sich ohne natürliche Feinde exponentiell vermehrt hatten. Der Gaucho (Cowboy), seines Zeichens der europäischstämmige Urargentinier, lebte in den Folgejahren als Nomade, der mit dem Gewehr Rinder schoss wenn er Hunger hatte und unter freiem Himmel schlief. Sein Essverhalten ist jenem der heutigen Argentinier/innen nicht unähnlich. Der Rindfleischkonsum betrug in Argentinien in den 1970er-Jahren unfassbare 90 kg pro Kopf (250 Gramm täglich!), heute ist er auf 70 kg gesunken. Das ist immer noch Platz 1 der Welt.
Dieser Wahnsinn, hat meinen Geschmackssinn verändert. Seit Jänner habe ich kein Schweinefleisch mehr gegessen. Im CAINA (meinem Straßenkinderheim), gibt es jeden (!) Tag Fleisch. Sprich Rind und alle zwei Wochen Huhn. Ein einziges Mal, am Tag des Kindes, haben wir aus besonderem Anlass Pizza gemacht, in zehn Monaten der einzige fleischfreie Tag. Selbst ganz kleinen Kindern wird bereits Fleisch verfüttert und im Gegensatz zu den Erinnerungen aus meiner Kindheit, lieben alle Kids im CAINA Rindfleisch.
Anfangs wurde mir gleich klar, dass die Qualität des Fleisches nicht schlecht ist. Ich fand das Essen passabel, aber den Geruch in der Küche ein bisschen abstoßend. Leicht blutiges Rindfleisch das für 50 Personen in Riesenöfen zubereitet wird riecht ein bisschen derb. Nach einigen Monaten, begann sich meine Wahrnehmung des Rindfleisches in kurzer Zeit stark zu verändern und ich entdeckte mich dabei die Speisen immer mehr zu genießen und den Geruch zu mögen. Mittlerweile bin ich süchtig nach Rindfleisch und gratuliere den Köchinnen euphorisch, wenn sie wieder einmal ein besonders gutes Schnitzel, Gulasch, Fleischlaberl oder Ofenfleisch zubereitet haben. Mein Geschmack hat sich zweifelsfrei argentinisiert.
Was ist toll?
Empanadas: Gefüllte Teigtaschen, klassisch mit Faschiertem, mit Schinken und Käse oder mit Zwiebel und Käse. Abwechslungsreich wie ich bin esse ich stets zwei mit Zwiebel-Käse und zwei mit Schinken-Käse. Diese Mahlzeit kostet mich bei Pizza Peppe ums Eck 1,85 Euro. Gut, simpel, preiswert und – im Vergleich zu Hamburgern – einfach zu verzehren.
Choripan: Neben dem Empanada gibt es noch eine außerordentlich erfreuliche Speise der Kategorie Fastfood. Der Hot Dog Argentiniens ist das Choripan. Also ein aufgeschnittenes Brot mit Chorizo, einer verdammt guten Paprikawurst, die vorher gegrillt wird. Das Choripan passt ganz hervorragend zu Bier. Man sollte vermeiden Choripan ohne Bier zu konsumieren und wenn möglich sollte man jedes Biertrinken auch gleich als Gelegenheit für ein Choripan betrachten.
Bife: Auch in Österreich gibt es tolle Steaks, aber hier bekommt man für 4,5 Euro ein köstliches Riesenstück. Ein Freund der mich in Argentinien besucht hat und dessen Namen ich nicht nennen möchte (Hinweis für Insider: er ist laut, hat fast keine Haare mehr und lebt in Preußen) hat vor lauter Begeisterung jeden Tag Mittags und Abends ein solches Steak verdrückt.
Milanesa Napolitana: Die Wörterkombination ist ein Widerspruch, der Italiener/innen in erstauntes Entsetzen versetzt. Ein „naopletanischer Mailänder“ ist so unmöglich wie der Himmel in der Hölle. In Argentinien interessieren die Attitüden der Großeltern nicht mehr. Man isst das sehr dünne Schnitzel (vom Rind versteht sich) mit geschmolzenem Käse und Paradreissauce darüber. Es schmeckt wirklich köstlich.
Dulce de Leche: Diese streichfähige Karamellcreme ist in Argentinien unfassbar dominant. In Mehlspeisen, Torten, Creps, im Eisladen oder beim Frühstücksaufstrich, überall schlägt Dulce de Leche die Wichtigkeit von Schokolade um Längen.
Alfajor: Das wichtigste Biscuit in Argentinien. Es handelt sich um eine Art trockenes Törtchen (ca. 80g) in Schokolade getaucht und selbstverständlich mit Dulce de Leche gefüllt. Ziemlich süß aber wirklich gut. Der Alfajor findet Einsatz beim Frühstück, bei der Nachmittagsjause und ersetzt oft Kekse oder Mehlspeisen. Bei mir findet er überdies als Nachspeise nach jeder Mahlzeit, sowie als willkürliche Zwischenspeise lebhafte Verwendung. Dies dürfte meinen Mitbewohner/innen nicht entgangnen sein, woraufhin man mir zum Geburtstag 90 (!)Alfajores geschenkt hat. Mehr als sechs Wochen hat es leider trotzdem nicht gereicht…
Dany Sahne: Es heißt natürlich nicht so, aber die Produkte vom Typus Dany Sahne sind ausgesprochen köstlich und die Auswahl an verschiedenen Sorten und Anbietern ist erstaunlich groß. Das optimale Zwischendessert, falls man den Alfajor wegen Überfüllung des Magens mit Empanadas ausnahmsweise eine Stunde aufschiebt.
Apfeltorte: Später werden wir noch feststellen, dass die Mehlspeisen die Stärke der Argentinier/innen nicht sind. Eine klare Ausnahme bildet da die argentinische Apfeltorte. Ganz anders als der Apfelstrudel, aber zweifelsfrei eine Delikatesse.
Picada: Die Vorspeisenplatte ist auch etwas Feines. In der bescheidensten Form mit Schinken, Käse und Oliven eine immer wieder gern gesehene Rettung, um bis 23:30 durchzuhalten. Da wird dann endlich warm zu Abend gegessen. Bei Festen und gemeinsamen Abendessen findet man mich pünktlich zu Beginn schon in der Nähe der Picada, der ich bis zum drei Stunden später stattfindenden eigentlichen Abendessen auch stets treu die Wache halte.
Cerveza Artesanal: Spezialbiersorten aus kleinen Brauereien sind wirklich fantastisch. Vor allem wenn es sich um Bier aus Patagonien handelt. Eine Region im Süden, wo irgendwelche versprengten Gruppen von Schotten und Deutschen ihre wohl konservierten kulturellen Fertigkeiten unter Beweis stellen.
Was ist weniger toll?
Abgesehen vom Spezialbier das ziemlich teuer ist, gibt es einige wenige argentinische Standardbiersorten, sie sehr wässrig und wenig voll im Geschmack sind (z.b. Quilmes). Das immer noch recht günstige belgische „Stella Artois“ hat sich daher zu meinem Standardbier entwickelt, was sich auf Grund meines äußerst regelmäßigen Konsums positiv in der Geschäftsbilanz der Brauerei – wenn nicht sogar in der belgischen Ausfuhrstatistik – niederschlagen dürfte.
Es gibt etliche Produkte die anders schmecken, ich habe keine Ahnung wieso. Vor allem Brot, Eier und Gemüse sind bei weitem nicht so geschmackvoll wie bei uns. Das glückliche Freiland-Hendl das aus der österreichischen Fernsehwerbung lugt, ist also möglicherweise mehr als ein Marketingschmäh.
Höchste Vorsicht ist bei Torten geboten. Optisch sind diese üppig bis kitschig, aber geschmacklich enttäuschen sie die Zunge jedes Menschen, der eine Wiener Konditorei schon von innen gesehen hat. Gemäß dem Motto Klotzen nicht Kleckern sind die Torten so mit Zucker und Fett aufmunitioniert, dass sie oft die Genießbarkeitsgrenze überschreiten. Dulce de Leche und fast nicht mehr legale Cremen quellen überall aus dem prachtvollen Monstrum. Statt des Schlagobers gibt es obendrein einen verhärteten Zuckerschaum, der den gefühlten Bombeneinschlag noch einmal potenziert. Dezent ist was anderes
Die legendäre Parilla, also der argentinische Grill, ist meiner Auffassung nach ziemlich überschätzt. Es besteht eigentlich nur darin Rindfleischtrümmer auf einen Holkohlegrill zu legen und abzuwarten. Sämtliche Raffinessen die bei uns selbstverständlich sind, begonnen bei der Marinade, gibt es nicht. Außerdem wird das Fleisch anders geschnitten, ist meiner Meinung nach zu flachsig und kommt geschmacklich letztlich nicht an heimische Barbequeues heran. Zum Glück gibt es aber bei jedem Parilla auch ein Chorcio am Grill, also die zu Beginn erwähnte köstliche Paprikawurst. Und noch etwas schmeckt gegrillt wirklich gut: die argentinische Blutwurst, genannt Morcilla.
Ein völliges Rätsel bleibt mir die Liebe der Argentinier/innen zu einer Süßspeise namens Dulce de Batata, einer Art Süßkartoffelgelee. Sie essen es übrigens mit einem geschmacklosen Weichkäse, was dann endgültig verstört.
Was fehlt?
Was einem als leidenschaftlicher Jausner am meisten fehlt sind Käse und Wurst. Vor allem für Leute wie mich, die trotz Jamie Oliver, neuem Rollenbild und Kochhype noch immer nicht kochen, ist das ein fundamentales Problem. Kauft man nämlich kein Essen auswärts, landet man automatisch bei der Jause. Wie ich in Wien erprobte, kann man sich von der Jause Wochen lang ernähren, Mittags sowie Abends. Man braucht dazu nur ca. alle drei Tage einen Sprung zum Hofer gehen, hat man einen Toaster genügt sogar einmal pro Woche. Bei der argentinischen Auswahl wird es allerdings ein bissl eintönig mit der Jause. Es gibt in Argentinien de facto zwei Käsesorten, eine weiche und eine harte. Beide kommen an den günstigsten Käse vom Hofer geschmacklich nicht heran. Auch die Wurst ist nicht so toll. Die Käse- und Wurstabteilung vom Billa kommt mir mittlerweile vor wie ein unglaubliches Delikatessenparadies und de facto ist sie das auch.
Der Hofer in der Brunnengasse war mein Stammgeschäft und ich fand die Kette immer schon viel besser als ihren Ruf. Hier wird mir klar, was für einen hohen Standard Hofer eigentlich hatte.
Trotz 5700 km Küste gibt es praktisch keinen Fisch. Die Ursache liegt im Eingangs skizzierten Essverhalten punkto Rindfleisch. Es bleibt für Fisch schlicht und ergreifend kein Platz mehr im Bäuchlein.
Was sonst noch fehlt: Es werden deutlich weniger Gewürze verwendet (in Restaurants steht Salz am Tisch aber kein Pfeffer, der hier sehr abgeht) Es gibt weder Feta noch Mozarella. Beim Eis fehlen die Nussorten, die ja eigentlich die besten sind. Ebenso fehlen Kekse, die bis auf einige wüstentrockenen Varianten nicht existieren.
Ein fundamentaler Bestandteil der Küche ist Pizza. Diese halte ich für okay. Sie ist zwar so von Käse und Fett überhäuft, dass man schon während des Essens und spätestens danach schwere Magenprobleme bekommt, aber geschmacklich gibt es immer wieder sehr gute Pizzen. Nicht-argentinische Latinos die in Buenos Aires leben belächeln die argentinische Küche und halten diese für nicht besonders. Böse Zungen unter ihnen meinen, außer Parilla, Pizza und Empanada hätte sie nicht viel zu bieten. Das ist vielleicht übertrieben, aber zu den großen Küchen der Welt zählt die argentinische – diplomatisch ausgedrückt – wohl nicht.
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