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Kurt Tucholsky: Antimilitarist, Antipatriot und sozialistischer Publizist jüdischer Herkunft. Er war das rote Tuch aller nationalistischen Kräfte der Weimarer Republik.
Patriotismus ist so eine Sache. Der Stolz auf eine konstruierte Zugehörigkeit zu einer Abstraktion namens Nation oder Volk. Die Homogenisierung einer Gruppe die als solche nicht existiert. Das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Staatskonstrukt dessen Grenzen aus den blutigen Auseinandersetzungen von Aristokraten oder Faschisten hervorgegangen sind. Die unterstellte Einheitlichkeit von Mentalität, kulturellen Merkmalen, historischen Erfahrungen oder gesellschaftlichen Zielen. Für Karl Popper ist der Nationalismus der vormoderne Wunsch nach kollektiver Stammeszugehörigkeit. Die Geschichte des nationalen Zusammengehörigkeitsgefühls ist eine Geschichte der Instrumentalisierung durch die Herrschenden. Von den Kriegshetzern von 1914, sowie von Hitler und Stalin einmal ganz abgehen, treibt der Nationalismus auch in modernen westlichen Demokratien bedenkliche Blüten. Wer in den USA 1970 gegen den Vietnamkrieg oder 2003 gegen den Irakkrieg war, wurde zum Vaterlandsverräter gestempelt, ebenso im französischen Algerienkrieg der 1950rt-Jahre. Wer anno 2000 gegen die Schüsselregierung war wurde als Österreich-Vernaderer vorgeführt, wer in Kärnten was gegen St. Haider sagt ist ein Nestbeschmutzer. Nationalismus dient meistens dazu, die Reihen zu schließen und Opposition zu delegitimieren.
Tatsächlich destabilisieren die zunehmende innere Differenzierung der Gesellschaft einerseits, sowie die Globalisierung von Trends und Lebensweisen andererseits das Nationalkonzept nachhaltig. Esoterisch, religiös oder in NGO’s engagierten Menschen, Finanzmarktjoungleure, Models, Manager/innen von Multis und Werbefachleute, Leute die tanzen, extrem-bergsteigen, Musik machen oder Paintball spielen, Homosexuelle, Transsexuelle, Asexuelle, Menschen die sich in virtuellen Welten selbst neu erfinden und Aussteiger/innen, Hippis, Yuppies, Emos und Punks. Sie alle brauchen kein Vaterland. Die Vielfalt individuell gestaltbarer Lebensweisen schafft neue Identitätsmuster, die regionale oder kulturelle Identitäten ergänzen oder ersetzen.
Adel und Nation
„Alles für das Volk nichts durch das Volk“, war die Devise der aufgeklärten Absolutisten, dessen bekanntester österreichischer Vertreter wohl Joseph II. war.
Historisch hat das Nationalbewusstsein jedoch eine wichtige politische Aufgabe erfüllt. Der deutsche Kaiser und der russische Zar waren selbstverständlich Vetter, sämtliche französische Herrscher – ob Bourbonen oder Napoleon – nahmen sich eine Habsburgerin zur Frau und schmückten sich so mit dem Glanz des ältesten Herrschergeschlechts Europas. Der Adel war elitär, unter einander verwandt, internationalistisch und voll ahnungsloser Verachtung für die Lebensrealität des eigenen Volkes (was sich mit dem aufgeklärten Absolutismus ein wenig änderte). Der Adel forderte als internationalistische Elite von seinen Untertanen die Loyalität zum Herrscherhaus anstatt zu einer Nation oder einem Volk ein. Das Bekenntnis zu Volk und Nation in Auseinandersetzung mit der Aristokratie ist somit ein großer historischer Fortschritt, der auch der Nationalbewegung zu verdanken ist. Das Volk wurde in den Mittelpunkt des Interesses gestellt, womit erstmals zumindest theoretisch alle seine Mitglieder gemeint waren. „Deutsch sein heißt frei sein“ war eine Parole der Nationalbewegung im 19. Jahrhundert, sie richtete sich gegen die Herrschaft des Adels, für liberale und demokratische Reformen und galt als Bekenntnis zum gesamten Volk.
Nationalkonservativer Patriotismus
Dieser freundliche, sympathische und vertrauenserweckende Herr war von Beruf Diktator und hat mindestens 3.000 Menschenleben auf dem Gewissen. Auf dem Begräbnis von Augusto Pinochet 2006 nahmen 40.000 Menschen teil. In chilenischen Fußballstadien hört man heute nach gelegentlich: “Chi chi chi Le le le - VIVA CHILE Pinochet“.
Ein patriotischer Pol in Argentinien ist das Militär, es repräsentiert sozusagen den Nationalismus der Rechten, wie wir ihn uns vorstellen. Der diskursive Schwerpunkt liegt dabei eindeutig eher beim Begriff „patria“ (Vaterland), denn beim Begriff „pueblo“ (Volk). Allerdings hat sich das Militär während seiner Diktatur (1976-1982) durch die Menschenrechtsverletzungen, den verlorenen Falklandkrieg sowie durch eine desaströse Wirtschaftspolitik dermaßen selbst diskreditiert, dass der rechte Nationalismus zu einer Randerscheinung wurde. Die Mittel- und Oberschichten wollen mit dem militärischen Nationalismus nichts zu tun haben. Im Gegensatz zu Chile wo ganze Fanclubs von Fußballmannschaften noch Sympathien für Pinochet haben und dies im Stadium auch kundtun, betrachtet die überwiegende Mehrheit der Argentinier/innen die eigene Militärdiktatur als historische Katastrophe. Die nationalnistischen, autoritären und antidemokratischen Kräfte im Umfeld der Militärs sind meiner Einschätzung nach heute politisch fast völlig isoliert.
Antipatriotische Bourgeoisie
Die Selbstwahrnehmung der US-Mittelklasse ist ziemlich genau das Gegenteil der Selbstwahrnehmung der argentinischen Mittelklasse. Die USA als „pais de le mierda“ (Scheißland), als Barbarenland oder als Desaster zu bezeichnen, würde wohl eher auf nachhaltige Empörung stoßen.
Die Mittel- und Oberschichten zwischen 35 und 65, also jene Generationen die derzeit in Argentinien den Ton angeben, sind nicht unpatriotisch, sondern geradezu antipatriotisch. Anfangs habe ich diese Haltung als Ausdruck eines Weltenbürgertums begrüßt, diese Interpretation des argentinischen Antipatriotismus ist aber zu kurz gegriffen. Die Mittel- und Oberschichten verachten Argentinien, weil sie es als ein unzivilisiertes Entwicklungsland betrachten. Besonders gegenüber Westler/innen betonen sie bereits nach wenigen Sekunden ihre Geringschätzung für ihr eigenes Land. „Was sagst du zu diesem Desaster“, war die erste Frage einer Spanischlehrerin (Mitte 40) der Uni von Buenos Aires an mich. Gemeint war Argentinien. Andere Leute bezeichnen ihre Nation als Affenland oder Land der Indianer. Die Menschen tun dies um zu bekunden, dass sie Argentinien mit europäisch/us-amerikanischen Augen sehen, obwohl sie meistens noch nie in Europa oder den USA waren. Sie wollen verdeutlichen, dass sie etwas Besseres verdient hätten und selbst über dem Niveau der argentinischen Gesellschaft schweben. Sie sind zivilisierte, kultivierte und elegante Europäer/innen, die zufälligerweise das Pech hatten, in ein Entwicklungsland am Ende der Welt geboren zu werden. Ich kann dieses Gerede nicht mehr hören und habe bereits eine Armada an Gegenargumenten parat. die wichtigsten in aller Kürze:
Argentinien ist gebildeter, weit weniger xenophob und teilweise liberaler als Europa (in zwei Provinzen gibt es z.B. die Homoehe). Es gibt eine kostenlose, unkomplizierte und hochwertige Krankenversorgung für alle, in den USA wird Obama als Hitler beschimpft wenn er nur an eine kleine öffentliche Versicherung denkt. Es gibt eine bürokratische, aber gute, kostenlose und frei zugängliche Uni, während in Europa die ausgehungerten Unis immer schwerer zugänglich werden. Es gibt U-Bahnen, Stadtbusse, Überlandbusse, Züge und perfekt erhaltene Straßen im ganzen Land, das EU-Land Rumänien, (dessen BIP gleich hoch ist wie jenes Argentiniens) kommt an diese Verkehrsinfrastruktur nicht heran. In allen Megametropolen der Welt gibt es brutalen Raubmord und Vergewaltigungen, auch in New York, London und Paris. In einer 13-Millionenstadt passiert das eben mit einer gewissen Regelmäßigkeit. Die auf Angst und Schrecken ausgerichtete mediale Berichterstattung verzerrt aber die Wahrnehmung und die Relationen.
Die Ablehnung der Mittel- und Oberschichten gegenüber der eigenen Bevölkerung ist der alten Verachtung der Aristokratie für ihre Untertanen gar nicht unähnlich. Es die gefühlte Zugehörigkeit zum westlichen Bürgertum bei gleichzeitigem Hass auf das eigene Volk, vor allem auf die Unterschichten. Diese werden in Argentinien als „Negros“ (Schwarze) bezeichnet. Da Argentinien seine schwarze Bevölkerung im 19. Jh. an den Kriegsfronten aufreiben ließ, ist Negros eher ein soziales denn ein rassisches Schimpfwort. Auch die in der Regel weißen, aber sozial wenig angesehenen Busfahrer werden als „Negros de la mierda“ (Scheiss-Schwarze) beschimpft, wenn sie eine Haltestelle ignorieren. Allerdings sorgt die permanente Migration aus Peru/Bolivien/Paraguay in die Armutsviertel Argentiniens dafür, dass der Anteil indigener Bevölkerung an der Gesamtheit der Armen steigt und Negro eine zunehmend sozialrassistische Note bekommt, die dem österreichischen „Tschusch“ ähnelt.
Diego Maradona, wie ihn die Mittel- und Oberschichten leidenschaftlich hassen.
Die Übersetzung für gute Gesellschaft ist „gente bien“, also gute Leute. Damit grenzt man sich vom Negro-Pöbel ab. Man kann auch sagen, „gente como uno“, also Leute wie einer (selbst), um die Grenze zwischen guter Gesellschaft und Pöbel zu ziehen. Besonders grotesk wird es, wenn Leute aus der Mittel- und Oberschicht sagen: „Los Argentinos no son gente como uno“, also die Argentinier sind nicht Leute wie einer (selbst). Damit grenzt man sich sozial und ethnisch/national ab, weil man mit Argentinier/innen den Pöbel, aber nicht sich selbst meint. Diego Maradona ist ein beliebtes Feindbild der „gente bien“. Vor allem als er nach der haarscharf erzielten WM-Qualifikation im Live-Fernsehen all jenen die nicht mehr an die Mannschaft glaubten ausrichten ließ, „die Damen mögen verzeihen, aber man könne ihm einen blasen“, wurde der Hass auf die „bestia“ und den „negro“ Maradona neu angeheizt. Maradona ist zweifellos nicht der galanteste Stern am Firmament der wohlerzogenen Caballeros, trotzdem repräsentiert er als Herkömmling aus einem Armutsviertel in der Südzone von Gran Buenos Aires wie kaum ein Anderer die enormen sozialen Konflikte Argentiniens.
Sozialpopulistischer Patriotismus
Der autoritäre Sozialpopulist Peron stellte sich gegen die jahrhundertealten Eliten und auf die Seiten des gemeinen Volkes. Gattin Evita – die Ikone des Industrieproletariats – war laut eigener Aussage auf zwei Dinge stolz. Auf die Liebe der Armen und den Hass der Oberschicht.
Der Peronismus und die sich daraus bis heute ableitenden populären, gewerkschaftlichen und politischen Strömungen haben einen starken nationalen Einschlag. Es handelt sich beim Peronismus meinem Urteil nach um eine Verbindung von sozialdemokratischen und nationalen Ideen, wobei der demokratische Rechtsstaat oft als unnötiges Hindernis betrachtet wird. Dem Mussolini-Faschismus wird ebenso wie dem Nationalsozialismus eine gewisse Bewunderung entgegengebracht, obwohl der Peronismus – vor allem im Gegensatz zu seinem italienischen Vorbild – radikal mit den Eliten der Großgrundbesitzer brach. Letztere waren wesentliche Träger des italienischen Faschismus.
Faktum ist, die Gewerkschaften und die Regierung Kirchner stehen in einer patriotischen Tradition, die durch Nationalflaggen und entsprechende auf Volks und Nation bezogene Diskurse immer wieder zum Ausdruck gebracht wird. Der diskursive Schwerpunkt liegt aber eindeutig eher beim Begriff „pueblo“ (Volk), denn beim Begriff „patria“ (Vaterland). Damit wird ausgedrückt, dass man bewusst zum Volk und seinen unteren Schichten steht und sich von den Mittel- und Oberschichten abgrenzt, die Argentinien für ein Affenland halten und immer nur nach Europa und in die USA lugen.
Nationalstolz an der Peripherie
So bestialisch der Nationalismus sich bei uns auch historisch ausgewirkt hat und so sehr mich die nationale Kleinstaaterei im Europa der 2000er-Jahre nervt, man kann zu diesem Thema keine Pauschalaussagen machen. In Ländern der Peripherie, die ständig darunter leider, dass regionale Eliten die Ressourcen und Arbeitskräfte ihres Landes an westliche Konzerne verscherbeln, ist ein Bekenntnis zum Volk und eine nationale Orientierung bei der Handels- Industrie und Sozialpolitik wahrscheinlich ein großer Fortschritt. Das Brasilien Lulas dürfte dafür ein Positivbeispiel sein und auch das bei uns so blutrünstig dargestellte Regime eines Hugo Chavez in Venezuela hat durchaus beachtliche Fortschritte erzielt.
Argentinien hatte in den letzten zehn Jahren nicht so viel Schwung wie andere Staaten Südamerikas. Allerdings stelle ich fest, dass meine Generation ein wesentlich solideres Nationalbewusstsein hat als die antipatriotische Elterngeneration. Ich habe von meinen Alterkolleg/innen unverblümte Kritik, aber noch kaum eine verächtliche Bemerkung über ihr Land gehört. Sie hassen die Korruption, sie wollen sich von unfähigen Unternehmen und Behörden nicht mehr verarschen lassen, sie entrüsten sich über die Armut und sie gehen Leute offensiv an, die Mist auf die Straße werfen. Sie glauben an Argentinien und wollen ihr Land vorwärts bringen. So unterschiedliche ihre politischen und persönlichen Motive sein mögen, die Schnittmenge ihrer Ziele ist groß. Um Argentinien punkto Sozialstaat, Wirtschaftskraft, Menschenrechte, Umweltschutz, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, dort hinzubringen wo sie es haben wollen, wird letztlich ein gemeinsames Nationalbewusstsein und ein gemeinsamer Glaube an das eigene Land notwendig sein. Im Gegensatz zu den chronisch skeptischen Argentinier/innen bin ich überzeugt, dass die Leute meiner Generation erhebliche Erfolge erzielen werden. Das ist es auch, was ich ihnen für die Zehnerjahre wünsche.
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Auch wenn ich die im blog vertretenen Auffassun-gen nicht zu 100 sondern "lediglich" zu 97-99% teile, gratuliere ich dem Autor dieses Artikels zu seiner scharfsinnigen Analyse. Auch (oder be-sonders) dieser Beitrag ist eine würdige Fort- setzung der vorherigen.
AntwortenLöschenWeitermachen!
kann den Kommentar von Anonym nur voll unterschreiben - lg und ein gutes neues
AntwortenLöschenDer Autor schreibt wohl fuer Ignoranten. die Nation ist immerhin die erste Organisationsform der gesamten Menschheit, in der es kodifiziertes Buergerrecht gab, das fuer jeden einzelnen galt. Dass das Konzept missbraucht wurde und mittlerweile zeitlich ueberholt ist, mag sein, aber was der Autor als grundsetzlich charakteristisch fuer die nation nennt, ist historisch falsch.
AntwortenLöschenWas der AUtor irrtuemlich als charakteristischfuer die Nation nennt, war vielmehr kennzeichnend fuer den Feudalstaat, der vom Nationalstaat abgeloest wurde.
AntwortenLöschenSchlimmer, Tatsachen verfaelschender Artikel, eine AUgenwischerei. Dass die Nation, der NAtionalstaat und der NAtionalismus eher ins 19. als ins 21. Jhd. gehoeren, werden die wenigsten heute Lebenden bestreiten, aber so primitiv muss man den Massen nicht verkuendigen, dass national jetzt out und boesi-boesi und kacki-kacki-pfui ist.
Ja ja, das ganze Südamerika braucht doch eigentlich eine starke Hand die mal endlich dort aufräumt und die ganzen korrupten Banden zum Teufel schickt. Unter normalen Bedingungen läuft dort nämlich gar nichts. Ausländische Firmen werden mehr und mehr abgezockt und verarscht oder wie im Falle Bolivien und Venezuela ganz einfach enteignet. Es nur eine Frage der Zeit bis die Amis dort wieder hier und da einmarschieren und einen grossen Scheisshaufen hinterlassen. Im Prinzip sind die Latinos durch die ganze Bank hindurch faul, verlogen, korrupt und kriminell. Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Irgendwann wird es die Latinos auch so treffen wie derzeitig Haiti. Leider muss man feststellen, dass das ganze Südamerika eigentlich sehr geistig minderbemittelt ist. Ein Affe hat im Vergleich zu den Latinos einen wesentlich höheren IQ. Nach 10 Jahre Südamerika weis man worüber man redet. Die Länder waren schon immer ein Scheisshaufen und da wird sich auch nicht ändern. Man kann da nur auf Mutter Natur hoffen, um hier mal richtig reine zu machen. Erdbeben, Buschbrände, Unwetter alla El Nino oder auch Epedemien (denn die krankheiten sind dort schon alamierend verbreitet, bei NULL Prävention) könnten da wirklich Wunder wirken.
AntwortenLöschenIch betrachte jede Form von Patriotismus als eine gefährliche Krankheit die unsere Erde verseucht und vergifet.
AntwortenLöschenBegründung:
1) Die Nationalität
2) Die Hautfarbe
3) Die Sprache
4) Die Abstammung
5) Die gesellschaftliche Klasse
6) Die Religionszugehörigkeit
7) Das Geburtsland
wird willkürlich (keine selbstbestimmte Handlung des Embyros) festgelegt !