Mittwoch, 23. September 2009

Die Nachtstadt

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New York, die Stadt die niemals schläft! Über diesen Titel kann Buenos Aires nur laut lachen. Das sage ich nicht, weil ich New York so gut kenne, sondern weil es mir zwei New Yorkerinnen unabhängig voneinander bestätigt haben. Buenos Aires ist keine Stadt mit Nachtleben, sondern eine Stadt die in der Nacht lebt. Man kann die Beschreibung der Nachtaktivität der Portenos (Bewohner/innen von Bs.As.) gar nicht übertreiben. Wie das möglich das physiologisch möglich was hier abgeht wird jedem europäischen Beobachter, so auch mir, wohl für immer ein Rätsel bleiben. Hier einige Beispiele um zu verstehen was ich meine:


- Das Abendessen ist frühestens 22:30, auch Mitternacht oder später ist nicht außergewöhnlich.

- Restaurants sind – auch unter der Woche – um 20:00 so leer wie in Wien um 17:00. Gegen 22:00 kommen langsam die Gäste. Kommt man um 1:00 um ein Bier zu trinken wird man bei der Tischsuche wie selbstverständlich gefragt: „Para cenar?“ (Zum Essen?)

- Meine argentinische Mitbewohnerin Stephi brät unter der Woche um 00:30 seelenruhig ihre Fleischlaberl in der Pfanne.

- Dass auch nach 1:00 das Haustelefon manchmal scheppert, wundert mich seit Monaten nicht mehr

- Um 2:00 Früh gehen Familien mit Kindern auf der Straße spazieren. Mit Bekannten fahre ich Freitags gegen 21:30 zu deren Freunden zum Abendessen. Die Bekannten sind über 40 und haben siebenjährige Zwillinge. Das Abendessen beginnt um 22:00 mit dem Aperatif, die Kinder machen die ganze Tortour selbstverständlich mit.

- Auf den großen Avenidas ist um 2:00 nachts mehr los als um 2:00 Nachmittags.

- Partys an Samstagen werden für 0:00 angekündigt, bis 1:00 kommen nur Ausländer/innen. Zwischen 2:00 und 3:00 kommen die Portenos oder jene die deren Lebensstil bereits übernommen haben. Um 4:30 kommen 25 Leute auf einmal. Einige von ihnen haben Trommeln und sonstige Instrumente mit und geben dann ab 5:00 ein kleines Konzert auf der Terrasse unseres Hauses.

- In Discos ist bis 3:00 gar nichts los. Bis 4:00 füllen sie sich, wobei die Schlange an Leuten die auf Eintritt warten gegen 4:00 am längsten ist. Wie bei uns ist es aber gegen 6:30 oder 7:00 vorbei. Die Portenos gewinnen also kein Nachtleben auf Kosten des Vormittags dazu, sondern verbringen einfach deutlich weniger Zeit in der Disco als die Leute bei uns.


- Zum Glück gibt’s Afterwork-Partys in manchen Discos. Dies ist das einzige Szenario, wo Discos schon um 3:00 schließen.

- In einer bekannten Milonga gibt es eines Dienstags eine Liveband. Diese begann um 2:00 Früh zu spielen

- Tangokurse die unter der Woche um 22:30 beginnen sind nichts Außergewöhnliches.

- Die Theaterproben meiner französischen Mitbewohnerin Anna mussten wegen Raummangel einmal schnell in die Nacht verlegt werden. Von 23:30 bis 04:30, unter der Woche versteht sich.

- Eine zeitgenössische Tanzperformance ist für Beginn 23:00 angekündigt, beginnt aber um 23:45. Zum Glück ist Freitag und zum Glück dauert sie nur rund eine Stunde. Um 1:00 verlässt man das Theater und beginnt die Nacht.

Immer wenn ich von „unter der Woche“ schreibe bedeutet dies selbstverständlich, dass die Leute am Folgetag arbeiten. Ihre Produktivität dürfte in diesem Zustand nicht die großartigste sein. In der Früh schauen die Leute im Bus auch immer aus wie Zombies, von jenen die einen Sitzplatz haben schläft oft die Hälfte oder mehr. Tatsächlich belegt eine Studie, dass die Portenos weltweit am wenigsten schlafen. 70% der Bevölkerung leiden bereits unter Schlafstörungen.


Wie halte ich das aus? Nun, gelegentlich halte ich am späten Nachmittag eine Siesta, oder schlafe zwischen 20:00 und 23:00 um nachher auszugehen. Ich habe mich schon einigermaßen daran gewöhnt nicht einmal lange durchzuschlafen, sondern meinen Schlaf auf z.B. fünf Stunden und später zwei Stunden aufzuteilen. Ich habe noch nie so wenig geschlafen wie hier, aber habe den Eindruck immer noch mehr abzubekommen als die wahnsinnigen Portenos. Mit Sicherheit kostet mich Buenos Aires aber einige Monate Lebenszeit und einige Jahre jugendlichen Aussehens.

Obwohl es auch relativ viel internationale Charts spielt, dominieren die beiden derzeit großen lateinamerikanischen Musikrichtungen Cumbia und Reggaeton oft das Nacht und Partyleben. Da beide nicht das meine sind bin ich dann doch immer wieder (heimlich, still und leise) froh über die Dominanz des angelsächsischen Kulturimperialismus. Hier ein Mega-Discohit des Reggaeton aus Puerto Rico: lo que paso paso

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