Donnerstag, 7. Mai 2009

1. Mai in Buenos Aires

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Den ersten Mai hätte ich beinahe vollständig verpasst. Das liegt daran, dass die Argentinier/innen am 1. Mai einen schönen freien Feiertag im Privaten zelebrieren möchten und daher zumindest heuer die Aufmärsche auf den 30. April vorverlegt hatten! Dies wurde mir spätestens klar als am 30. April ab ca. bereits 10:30 Vormittags im CAINA (meinem Straßenkindertagesheim) aus allen Richtungen Böller zu hören waren. Ich habe die Aufmärsche nach der Arbeit spontan besucht und daher auch keine eigenen Fotos sondern nur solche, die ich von den Internetseiten der hiesigen Tageszeitungen zusammengefladert habe.

Die Demonstration die ich beobachtete wurde von der größten und wichtigsten Gewerkschaft organisiert, der Confederación General del Trabajo de la República Argentina (CGT). Dabei handelt es sich um eine ideologisch nicht ganz klar zuordenbare, große bürokratische und staatstragende Organisation die sich auf den Peronismus beruft, in den 1990er-Jahren jedoch teilweise mit dem neoliberalen Regime von Präsident Menem zusammengearbeitet hat. Das wesentliche Gegenstück zur CGT ist die Central de los Trabajadores Argentinos (CTA). Diese ist stärker von linksperonistischen Strömungen dominiert, stand in Opposition zu Menem und stützt sich vor allem auf die Beschäftigen des öffentlichen Dienstes.



Es war nicht uninteressant, aber leider etwas enttäuschend, was die CGT auf er Avenida 9. Julio (der breitesten Straße der Welt) aufbot. Die Organisation war nicht schlecht. Busse voller Menschen wurden nicht nur aus Buenos Aires Stadt und Provinz, sondern sogar aus weit entfernt liegenden Provinzen wie „La Pampa“ angekarrt, wie die zahlreichen Transparente verrieten. Je nach Subgewerkschaft waren sämtliche Demonstrant/innen in den entsprechend gefärbten Overalls eingekleidet, die Transparente waren farblich darauf abgestimmt. Die Gewerkschaft sprach von 150.000 Teilnehmer/innen, andere Schätzungen gehen von unter 100.000 aus. So oder so, für ein Einzugsgebiet von 20 Millionen Menschen war es eigentlich keine eindrucksvolle Angelegenheit. Selbst wenn die SPÖ Wien und ihre Polizei mit der Zahl von 100.000 Teilnehmer/innen am Rathausplatz vielleicht etwas übertreiben, 50.000 werden es schon sein. Im Verhältnis dazu müsste in Buenos Aires mindestens eine halbe Million mitmarschieren.

Des weiteren waren die Demonstrant/innen zum absolut überwiegenden Teil Männer. Frauen waren die totale Ausnahme und wenn sich eine Passantin auf die Avenida 9. Julio verirrte, begleitete sie ein 2-minütiges Pfeifkonzert (so lange dauert es bis man dieses Monstrum überquert hat). Das in rauen Mengen aus abgemischten Plastikflaschen getrunkene Cola-Rot trug das seine zu den feurigen Nachpfeiforgien bei. Da lobt man sich das brave Wien mit seinen disziplinierten 1-Mai Pensionist/innen, die sich strikt an das Alkoholverbot halten. Dafür war die Stimmung natürlich deutlich spritziger als am Rathausplatz. Riesige Trommelgruppen sorgten für eine Mischung aus Samba und Marschmusik, die Leute skandierten ihre mir kaum verständlichen Forderungen inbrünstig in die Luft und regelmäßige Böller sorgten für ein bizarres Ambiente zwischen Jahrmarkt und Krieg.



Spätestens als ich die Bühne erblickte wurde mir alles klar. Die argentinische Gewerkschaftsbewegung lebt nicht im 21. Jh. wie die gewaltigen, doppelt angebrachten Konterfrei von Peron und Evita eindrucksvoll verrieten. In den 1950er-Jahren war beinahe die Hälfte der Arbeiterschaft in der Gewerkschaft organisiert. Ähnlich wie einst die österreichische Sozialdemokratie und der ÖGB entfalteten die argentinischen Syndikate ein Eigenleben mit Ferienheimen, Schulungszentren, Entbindungsstationen, Pensionskassen und Altersheimen. Selbst die Größe der Kränze für ein standesgemäßes Proletariergrab wurde genormt. Sie wurden zum Staat im Staate. Die Gewerkschaften waren eine der zentralen Stützen des Peronismus. Letzteren kann man sich vereinfacht als autoritären Sozialdemokratismus vorstellen. Eine durch Mussolini inspirierte faschistisch anmutende Organisation von Partei und Gesellschaft, aber mit starkem sozialpolitischem Fokus und in absoluter Feindschaft zur argentinischen Oligarchie. Wenn man so will, ein paternalistischer Sozialismus. Der Mangel an Respekt für Rechtsstaat und Demokratie unter Peron ließ natürlich Tür und Tor offen für spätere antidemokratische Entwicklungen sowie für das düstere Kapitel der Militärdiktatur ab 1976.

1 Kommentar:

  1. ich habe diesen Blog mit großem Interese gelesen - schade, dass plötzlich Schluss ist...

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