Samstag, 22. August 2009

Geographische Überraschungen

.


Der folgende Blog-Eintrag ist eher etwas für eingefleischtere Geographie-Nerds. Für diese überschaubare Lesergruppe ist er aber besonders interessant. Drei Dinge sind mir in Buenos Aires klar geworden:

1. Südamerika liegt verdammt weit im Osten

Wenn man an den amerikanischen Doppelkontinent denkt, hat man den Eindruck dieser erstreckt sich auf der anderen Seite des Altantiks ziemlich gerade von Norden nach Süden. Nun, dem ist nicht so. Tatsächlich liegt Südamerika viel weiter im Osten als Nordamerika. Lima, die Hauptstadt Perus und Metropole an der südamerikanischen Westküste, liegt auf dem selben 77. Längengrad wie die US-Bundeshauptstadt Washington, die bekanntlich an der US Ostküste liegt!!! Irlands Westküste, also der westlichste Punkt Europas, reicht bis an den 10. Längengrad. Brasiliens östlichster Punkt „Ponta do Seixas“ reicht bis an den 34., was eine Differenz von nur 24 Längengraden ergibt. Schon alleine die Distanz von Ponta do Seixas bis an den östlichsten Festlandpunkt der USA beträgt deutlich mehr, nämlich 32 Längengrade. Bis nach San Francisco beträgt die Distanz sogar 87 Längengrade. Selbst in km ist der Unterschied ersichtlich. Von der Südwestspitze Portugals bis zum Ponta do Seixas sind es 5.400 km. Vom Ponta do Seixas bis zur Südspitze Floridas sind es 5.900 km. Von diesem Extrempunkt aus gemessen liegt Europa näher bei Südamerika als die USA.

Erst auf den zweiten Blick fällt auf, wie viel weiter östlich Südamerika liegt als Nordamerika.

2. Der Pazifik reicht verdammt weit nach Osten

Wenn Südamerika so weit östlich liegt bedeutet das natürlich auch, dass der Pazifik sehr weit nach Osten reicht. Boston ist die östlichste Großstadt der USA, liegt auf dem 71. Längengrad und ist deutlich über 4.000 km von San Francisco und somit von der US-Pazifikküste entfernt. In Arica an der chilenisch-peruanischen Grenze, also dort wo Südamerika an seiner Westküste ein Cut nach Osten reißt, kommt der Pazifik bis an den 70. Längengrad heran uns liegt damit weiter östlich als Boston!

Die Fläche des Pazifischen Ozeans beträgt 181,34 Mio. km², was rund 35 Prozent der gesamten Erdoberfläche oder die Hälfte der Meeresfläche der Erde und damit mehr als die Fläche aller Kontinente zusammen ausmacht.

3. Der amerikanische Kontinent erstreckt sich verdammt weit von Osten nach Westen

Die gewaltige Nord-Süd Erstreckung Amerikas kennt man vom Blick auf den Globus, sie beträgt 124 Breitengrade. Aber die Ost-Westerstreckung geht über unfassbare 134 Längengrade. Natürlich ist es für Alaska leicht möglich einen sehr weit westlichen Längengrad zu erreichen, weil auf Grund der Neigung der Erde die Längengrade im äßersten Norden und Süden sehr nah zusammen liegen. An den Polen ist die Distanz zwischen ihnen logischerweise Null. Doch auch in km. ist die Entfernung enorm. Mit Google earth lässt sich berechnen, dass die Nord-Süderstreckung von Festlandamerika rund 14.000 km beträgt. Die Ost-West Distanz (Ostküste Brasiliens bis zur Westküste Alaskas) immerhin noch 10.700. Das entspricht etwa der Entfernung Wien – Jakarta (Indonesien).

Die enorme Ost-Westerstreckung des amerikanischen Doppelkontinents entspricht der Distanz von Wien nach Jakarta, Indonesien.

4. Buenos Aires ist verdammt weit weg

Insgesamt entsteht der Eindruck, das westlich gelegene Nordamerika befindet sich weiter weg von Europa als das östliche gelegene Südamerika. Die abschließende faszinierende Erkenntnis ist, dass dies nicht zutrifft, vor allem nicht für Argentinien. Südamerika liegt soweit südlich, dass die Distanzen letztlich doch deutlich weiter sind. Von New York ist es näher nach Wien als nach Buenos Aires. Vor allem die verhältnismäßig enorme Entfernung von Europa nach Buenos Aires war mir bisher nicht bewusst. Ein paar Beispiele: Die Flugdistanz von Wien nach New York beträgt 6.800 km. Nach Los Angeles 9.800 km. Die Distanz von Wien nach Buenos Aires kommt jedoch auf unfassbare 11.800 km. Tokio liegt mit 9.100 km näher bei Wien, ebenso wie Jakarta mit 10.500 km. Man muss die 16.000 km bis Sydney fliegen, um die 11.800 km zu übertreffen. Es ist gar nicht so leicht von Wien noch weiter entfernt zu sein als in Buenos Aires.

Hier noch ein Überblick über ein paar interessante Distanzen in km:

Buenos Aires – Los Angeles: 9.800 (gleich wie Wien – LA)
Buenos Aires – Wien: 11.800
Buenos Aires – Lissabon : 9.600
Buenos Aires – New York : 8.500 (weiter als Wien – NY)

Wien – New York: 6.800
Wien – Peking: 7.500
Wien – Kapstadt: 9.100
Wien – Tokio: 9.200
Wien – Singapur: 9.700
Wien – Los Angeles: 9.800
Wien – Jakarta: 10.500
Wien – Lima: 11.200
Wien – Buenos Aires: 11.800
Wien – Sydney: 16.000

Kulturell gilt Buenos Aires als die europäischste Stadt am amerikanischen Doppelkontinent. Geographisch gesehen ist es die von Europa mit Abstand am weitesten entfernte amerikanische Metropole. Selbst Lima oder Los Angeles liegen näher.

Abschließend sei noch gesagt, dass Google Earth und Goolge Map für geographisch interessierte Menschen wirklich traumhafte Spielzeuge sind. Man kann diese Programme gar nicht genug loben. Geographie erleben bekommt durch sie eine Dimension, von der alle vorangegangenen Geographengenerationen nicht einmal träumen konnten. Hier kann man google earth downloaden.

Dienstag, 18. August 2009

Cordoba

.
Die Sierra de Cordoba im "Winter". Im Sommer ist es hier ganz feucht und grün.

In Österreich kennt man Cordoba vor allem wegen des legendären Fußballspiels von 1978, als man Deutschland mit 3:2 bezwang. Was viele jüngere Menschen nicht wissen, Österreich hatte damals keine Chancen mehr auf einen weiteren Aufstieg, das Match gegen Deutschland war ein reines letzte Pflichtspiel. Deutschland hatte aber noch Chancen auf das Spiel um Platz 3 gehabt, diese waren nach dem 2:3 jedoch zunichte. Im Sinne von „geteiltes Leid ist halbes Leid“ hat man den großen Bruder mit in den Abgrund gerissen. Österreich wurde narrisch vor Freude über einen Erfolg, der einem selbst nichts brachte sondern nur einem anderen schadete. Wenn man es selbst schon nicht schafft, dann soll der Nachbar auch schlecht haben. Diese Heimtücke gibt Einblicke in die Abgründe der österreichischen Seele und ihrem komplexbehafteten Verhältnis zu den Preußen. Der bedeutungslose Sieg von Cordoba sagt eigentlich alles über Österreich.

Papa und Wastl nützten meinen Aufenthalt in Argentinien um ihren Besuch zu einer Reise zu machen, ein verlängertes Wochende verbrachten wir gemeinsam in der Provinz Cordoba. Hier reiten sie gerade zufrieden durch die Sierra de Cordoba.

In der argentinischen Provinz Cordoba leben insgesamt auf der doppelten Fläche von Österreich 3,2 Millionen Menschen. Das ist für argentinische Verhältnisse jedoch eine überdurchschnittliche Bevölkerungsdichte. Cordoba, Santa Fe und die Hauptstadt Buenos Aires bilden mit jeweils rund 3 Millionen Einwohner/innen die mittelgroßen Provinzen. In der Provinz Buenos Aires leben 14 Millionen, ein Drittel der Gesatmbevölkerung. Die übrigen 20 Provinzen sind allesamt viel kleiner und politisch sowie wirtschaftlich relativ bedeutungslos. Cordoba Capital ist die zweitgrößte Stadt Argentiniens, Hauptstadt der zentral gelegenen Provinz Cordoba und mit 1,3 Millionen Einwohner/innen wesentlich größer als das andalusische Cordoba mit seiner Bevölkerung von 300.000. Cordoba Stadt liegt verglichen mit der Nordhalbkugel ca. auf der Höhe von Jerusalem (31. Breitengrad).

Der verblasste Glanz unseres Quartiers in La Cumbre steht irgendwie für den wirtschaftlichen Aufstieg und Niedergangs Argentiniens. Erbaut wurde das Schlösschen 1923, also in den fetten Zeiten. Ein nicht mehr verwendeter Swimmingpool im Garten lässt darauf schließen, dass man in den 1950er-Jahren erweiterte. Den heutigen spezifischen Charme der Bude macht ihre heruntergekommene Eleganz aus.

Die Provinz Cordoba ist trockener als Mitteleuropa, aber grüner als der andine Nordwesten. In den Tourismusprospekten bezeichnet sich die Region selbst als „mediteranes Erlebnis“, wobei es kein Meer gibt und die Sommer sehr feucht sind. Was Cordoba aber aufbieten kann ist eine Sierra, also ein nicht zu den Anden gehöriges sehr schönes Gebirge, sowie einige (Stau)seen an denen ein bisschen Riveria-Feeling aufkommt.







Die Provinz Cordoba ist so, wie man sich Argentinien vorstellt. Es gibt unfassbar viel Platz, die Häuser sind etwas heruntergekommen, haben aber einen weiten Garten in dem ein großer Pick up herumsteht. Die zehntausenden Kühe bekommt man aufgrund der unendlichen Größe der Weideflächen nur unregelmäßig zu Gesicht. Regeln scheinen eher individuell auslegbare Richtlinien zu sein und die Menschen sind besonders freundlich. Die Provinz Cordoba ist im Gegensatz zur Hauptstadt Buenos Aires eben eindeutig amerikanisch und nicht europäisch. Wie in den USA gibt es vor allem Platz. Außerdem Prärien, ewig lange gerade Straßen, Riesenfarmen, Dörfer im Nirgendwo, Pick ups, Gauchos (Cowboy) und das Gefühl von Freiheit, weil Politik, Behörden und Hauptstadt schon geographisch so weit weg sind.

Der Ort La Cumbre eignet sich hervorragend zum Paragleiten, was ich und Wastl dann auch gleich ausprobieren mussten. 700 Meter über dem Startpunkt sieht man das Flussbett, die Berge, die Seen und den Condor, der in die schon etwas glühende Spätnachmittagssonne fliegt. Hier fliegt Wastl.

Auf dem Foto sieht man eindeutig, mit welchem Geschick ich das Paragleiten beherrschte. Die Anweisungen meines Tandemfliegers habe ich auch penibel eingehalten (die Aufgabe bestand darin sich nach Aufforderung nach links oder rechts zu lehnen).

Die Hauptstadt Cordoba liegt vom Flair irgendwo zwischen Buenos Aires und der Provinz Cordoba, zwischen einer südeuropäischen Metropole und den Weiten Arizonas. Ihr Zentrum ist recht urban im europäischen Sinne (alte Bausubstanz, Plätze, Kirchen etc.), die Leute bewegen sich aber wesentlich langsamer als in der Bundeshauptstadt. Nicht weit vom Zentrum beginnen auch schon die weiten Siedlungsflächen einstöckiger Wohnhäuser mit staubigen Gärten voller Gerümpel. In Argentinien hat man Platz, auch in den Provinzhauptstädten. Da kommt „American feeling“ auf. Cordoba Stadt ist mit sieben Universitäten und 150.000 Studierenden die Bildungsmetropole in Argentinien und wird dementsprechend auch „La Docta“ (die Gelehrte) genannt. Wirtschaftlich war Cordoba in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein Industriezentrum. In den 1950er-Jahren wurde eine bedeutende Autoindustrie angesiedelt, der Automobilproduzent Industrias Kaiser Argentina stellte vorerst eigene argentinische Autos her, wurde aber in den 1970ern von Renault aufgekauft. Obwohl Cordoba heute primär eine Dienstleistungsmetropole ist, haben Renault, Fiat und VW noch Werke in der Stadt.

Wäre ich Student in Cordoba würde das so aussehen.

In Cordoba Stadt befinden sich mehrere wirklich schöne Gebäude aus der Kolonialzeit. Die Stadt ist voll von Klosteranlagen die den Orden als Stützpunkten dienten. Vor allem entlang der zentral gelegenen Universitätsmeile befinden sich einige alte Gebäude, in denen heute diverse Fakultäten untergebracht sind. So etwa die wunderschöne „Manzana de los Jesuitas“ aus dem 17. Jahrhundert. Die großartigen Arkadeninnenhöfe bieten die optimalen Voraussetzung für einen Campus. Die neueren Glas-Stahlkonstruktionen in der Universitätsmeile wurden geschickt und unaufdringlich in die alte Bausubstanz eingewoben. Studieren in Cordoba ist architektonisch mit Sicherheit zumindest ein ästhetisches Erlebnis. Auch die älteste erhaltene Kirche Argentiniens befindet sich in Cordoba. Die Iglesia de la Compañía de Jesús ist ein schönes und schlichtes Gebäude aus dem 17. Jh., das stilistisch schwer einzuordnen ist. Obwohl dies zeitlich unmöglich ist, beschreibt die Bezeichnung romanisch-kolonial vielleicht noch am ehesten den Baustil. Innen wurde die Kirche barockisiert (oder gleich von Beginn an so ausgestattet), aber bei weitem nicht so plump-aufdringlich wie österreichische Kirchen. Trotz prunkvoller Stilmittel bleibt ein demütig-spiritueller Eindruck erhalten, wobei der Umstand dass die vergoldeten Elemente schon lange nicht mehr poliert wurden, dieser Schlichtheit zugute kommt. Es ist erstaunlich wie viel Spielraum Architekten innerhalb einer Stilrichtung hatten. Der Barockarchitekt der Iglesia de la Compañía de Jesús (ein Flame namens Philippe Lemaire) hatte jedenfalls Stil.

Iglesia de la Compañía de Jesús

Politisch besondere Bedeutung hatte Cordoba 1969 im Rahmen des Cordobazo. Dieser Aufstand von Arbeiter/innen und Studierenden wird von manchen Beobachter/innen als Mai 68 Argentiniens betrachtet. Während der Militärdiktatur unter dem De facto-Präsidenten Juan Carlos Onganía (1966-1970) kam es zu Verschlechterungen in den Arbeitsbedingungen, denen die bürokratische peronistische Staatsgewerkschaft nichts mehr entgegenzusetzen hatte. Im Mai 1969 schaffte die Regierung den „englischen Samstag“ ab (halbe Schicht für volle Bezahlung). Daraufhin organisierten sich in der Automobilmetropole Cordoba die Arbeiter/innen. In Folge von Massendemonstrationen besetzten sie gemeinsam mit Studierenden die gesamte Stadt. Die Polizei konnte den Aufstand nicht stoppen. Erst durch den Militäreinsatz konnte nach zwei Tagen die Kontrolle über Cordoba wieder hergestellt werden. 13 Tote und hunderte Verletzte waren die blutige Bilanz des Cordobazo. Der Rücktritt Onganías ein Jahr später wird als Spätfolge dieses Aufstands betrachtet.

Im Mai 2009 wurde 40 Jahre nach dem Cordobazo diese Gedenktafel angebracht. Die zwei Revolutionäre im Vordergrund solidarisieren sich ex post mit den Aufständischen.